Original

2. Februar 1926

Stadt und Land reden davon. Also reden wir auch davon.

Von dem Ball der Bälle, den Herr und Frau Barbanson am Samstag Abend in den Gesellschaftsräumen der Arbed gaben.

Es war „der“ Ball. Wäre am Sonntag früh die Welt untergegangen, dies wäre „der“ Ball geblieben, und ginge sie in zwanzig Jahren unter, dies bliebe immer „der“ Ball.

Nichts von amtlicher Feierlichkeit. Kaum daß der Gouverneur der belgischen Nachbarprovinz voll bestirnt in die Erscheinung trat, und daß Prinz Felix auf ein Stündchen zum Hospitieren kam, unauffällig, vom allgemeinen Frohsinnsrhythmus restlos assimiliert - nur ein Gast aus der Provinz ließ sich beim Ecarté von der Nachricht, der Prinzgemahl nahe, derart verdaddern, daß er einen Jungen als König meldete.

Also ein ganz gemütlicher Familienball, auf dem Generationen von Tanzstunden bis in die jüngsten Semester herunter Wiedersehen feierten.

Ball der Bälle! Buchstäblich. Denn beim Souper um Mitternacht begann plötzlich ein Bombardement mit Bällen aller Kaliber. Erst waren es stachelbeergroße Bällchen, die man sich an die Köpfe warf. Kinder Kinder, Ihr seid Kinder! Keine Bällchen aus Dommeldinger Elektrostahl, trotzdem bin ich sicher, daß auf ihnen Millionen verdient werden. Sie sind der ideale Ersatz für die lästigen Konfetti, erlösen uns vom Papier, was allein schon ein Verdienst wäre, tun nicht weh, im Gegenteil, rühren dir an Wangen, Ohren, Stirn und Nase wie eine Betupfung mit weichem Finger, sind so leicht in ihrer zelluloidnen, hohlen Körperlichkeit, daß sie wohl fliegen, aber nicht wuchten können. Und wenn du den ganzen Abend nicht den Mut aufbrachtest, die Dame deines Herzens anzureden, beim Bombardement kannst du sie auf einmal mit einem Zelluloidbällchen duzen.

Aus den Bällchen wurden Bälle, richtige kopfgroße Gummibälle, die in drolligem Getaumel über den Tischen, zwischen den Tischen, unter den Tischen waren, gestoßen, geschleudert, geblasen, haltlos, gutmütig, wie Leute, die in fröhlicher Weinlaune zwischen den Gästen pendeln.

Ball der Bälle.

Dann kamen die Puppen. Das war perfid, Ihr Leute! Auf einmal hatte jede Dame ihr Püppchen im Arm, ein impressionistisches, schlankes Dämchen in seidnem Gewand und weißer Halskrause mit abgrundtiefen Rätselaugen und willenlosen Schlenkerärmchen. Und die Mütterlichkeitsinstinkte schlugen aus, wie Seismographen, und all die Püppchen wurden Blitz- ableiter für die Kußelektrizität, die sich in den Busen angehäuft hatte.

Dann kamen die Blumen! Sie waren auf einmal überall, überfluteten die Räume, füllten alle Knopflöcher, alle Hände, alle Arme; Nelken, Mimosa, Veilchen, Tulpen - Zweige, Garben, Sträuße, Körbchen - das Floreal-Banner wehte überall. Und in den Saal glitt die Blumenfee, die lebensgroße Markise in Reifrock und weißer Perücke, mit in- und exotischem Gefolge, und strahlte Blumen aus, Blumen, Blumen, Blumen!

Und die Gastgeberin, schlichter und strahlender, als je, freute sich lächelnd der Freude ihrer jungen und alten Gäste und stellte die Weiche der Komplimente über das Gelingen des Festes liebenswürdig auf den Architekten, der die wunderbaren Gesellschaftsräume geschaffen, und ihr Gemahl dirigierte mit der Unerschütterlichkeit, die ihn berühmt gemacht hat, das Technische aus dem Augenwinkel.

Wie lange es dauerte? Ich ging fort, als es am schönsten war. Alle, die zu irgendeiner Stunde fortgingen, hatten das Gefühl, daß sie fortgingen, als es am schönsten war.

Wie lange es dauerte? Ich weiß es nicht. Ich wäre durchaus nicht erstaunt, wenn man mir sagte, es dauert noch immer. Denn es sah in keiner Minute aus, als ob irgend jemand Lust hätte, ein Ende zu machen.

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    Katalognummer BW-AK-014-3096