Original

3. Februar 1926

Von zarter Hand geht mir ein Schreiben zu, in dem die Buchstaben noch ein ganz klein wenig von der Erregung der Schreiberin zu beben scheinen. Die Erregung ist dadurch verursacht, daß gestern hier stand, auf einem Ball haben die Mütterlichkeitsinstinkte wie Seismographen ausgeschlagen, als die Damen mit Puppen beschenkt wurden.

„Von Ihrer unpassenden Bemerkung über den Blitzableiter will ich gar nicht einmal reden, die richtet sich von selbst. Aber was ficht Sie an, uns Frauen bei jeder Gelegenheit in Mütterlichkeit und wieder Mütterlichkeit zu drapieren, von unsern Mütterlichkeitsinstinkten als unserer einzigen Daseinsberechtigung zu reden! Ich nehme an, die Herren wären auf jenem Ball mit männlichen Puppen, meinetwegen mit kleinen Bajazzi beschenkt worden: Hätte dann bei Ihnen der Väterlichkeitsseismograph ebenso automatisch ausgeschlagen? Inwiesern müssen wir denn mehr Mütter sein, als Sie Väter sind?

Gewöhnen Sie sich doch endlich diese patriarchalische Auffassung ab, daß dem Weib Erfüllung nur in der Mutterschaft beschieden sei. Lösen Sie uns in Ihrer Vorstellung doch endlich los vom Geschlecht und sehen Sie in uns in erster Instanz den Menschen. Ist denn von Frau zu Puppe kein anderes Verhältnis denkbar, als das simplistische, bäuerische, kindische von Mutter zu Kind?“

Und so weiter.

Das Schönste ist, sie hat recht. Aber ich plädiere mildernde Umstände. Sie hätten sehen müssen, ungnädige Gnädigste, wie damals eine jede ihrer Puppe die Arme entgegenstreckte, ihr mit allen Zähnen entgegenlachte, sie ans Herz drückte, hätschelte, auf den Arm nahm - Muttergottes! - ihr zärtlich die Falten aus dem Seidenröckchen glättete, sie in der Ruhestellung sorgsam unter dem Rock anfaßte, um ihn nicht zu verknüllen! Soviel Puppen, soviel Kinder, soviel weibliche Wesen im Saal, soviel Mütter.

Ich weiß, es kann anders sein, es kann sein, daß von Weib zu Puppe nur Bande der Freundschaft geflochten sind. Späte Mädchen mit verholztem seelischem Zellengewebe, bei denen die Mutterinstinkte eingetrocknet sind, halten sich Puppen, wie Kanarienvögel oder einen Mops und fühlen ihnen das Wesen ein, das sie in ihnen brauchen. Oder so: Ich kannte eine junge Künstlerin, das sensitivste Geschöpf, das je auf Erden wandelte, die war so seltsamer Struktur, daß ihres Einfügens nirgends war, sie fand keinen Menschen, den sie ertrug, der ihr nicht unbewußt fort- während wehe tat: Da machte sie sich Puppen als Freundinnen, Puppen, deren Körperlichkeit war wie eine Saite, nur da, damit ein Klang würde.

Aber solche Einmenschen, wie diese, sind selten. Das normale weibliche Wesen wird der Puppe gegenüber viel natürlicher angekurbelt: Da ist auf einmal etwas zum anfassen, zum betreuen, etwas, das unbedingt stille hält, das man küssen und schelten, an- und ausziehen darf, das nicht aufmuckt, nicht flennt, nicht schimpft, dem man eine Gestalt geben kann, wie man will, das einem nicht davon läuft, immer da ist, immer willig zu allem - immer Puppe. Dies Weib will alles, die Puppe soll nichts tun.

Die Puppe des Mannes ist die Maschine. Die Maschine soll alles, der Mann nichts tun.

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    Katalognummer BW-AK-014-3097