Samstag abend um halb neun Uhr im Stadttheater werden wir wieder einmal, nach langen Jahren, die „Disciples de Grétry“ zu hören bekommen.
Es wird ein Hochgenuß sein.
Es wird auch einiges Eintrittsgeld kosten.
Es hat Hunderttausende armer Mitmenschen viel mehr gekostet.
Damit sich die „Disciples de Grétry“ entschlossen, am Samstag nach Luxemburg singen zu kommen, mußte unermeßliches Leid Hunderttausende heimsuchen.
Die da auf den Höhen wohnen, denken nicht an das Leid der Täler, wissen nichts von der Unheimlichkeit der Katastrophen, die über diese hereinbrechen.
Das Wasser, das schlammige, schmutziggelbe Wasser ist der hassenswerteste aller Eindringlinge.
Ob es angemeldet kommt oder wie der Dieb in der Nacht, seiner Herrschaft ist nicht zu entrinnen.
Schließe Luken, Fenster und Türen - nichts hilft, es dringt durch Ritzen und Spalten, es steigt durch die Erde herauf, wie der Teufel aus dem Bühnenboden, es leckt frech an Tisch und Ofen und Schrank und Bettpfosten, es bricht in alle Behälter ein und macht alles zunichte, steigt mit höhnischem Glucksen höher und höher, greift grinsend nach zuckenden Menschenherzen, keine Hilfe ist denkbar, es kommt und steigt zynisch nach ewigen Naturgesetzen, macht brutal seine uralten Rechte geltend.
Man möchte sagen, es sei am unheimlichsten, wenn es leisetreterisch über die Schwelle schleicht, ein böser Heuchler, der sanft tut und sich dagegen verwahrt, daß er jemand Übles will. Und ist der abgefeimteste Dieb und Mörder.
Aber es kommt auch mit Geheul und gewalttätiger Gebärde, ein wahnsinniges, unzurechnungsfähiges Ungeheuer, das mit stürmender Wucht alles überrast und verschlingt.
Bedenket dies: Soviel Menschen in unserm Ländchen wohnen und noch mehr waren im befreundeten Belgien den Roheiten, der Mord- und Raubgier dieses wechselweise tückischen und tosenden Ungeheuers ausgesetzt.
Sie stehen vor den verschlammten Trümmern, die ihnen Haus und Habe waren, mit leeren Händen, obdachlos, auf fremde Hilfe angewiesen, froh, dem nassen Totengräber entflohen zu sein, viele auch den Entsetzenstod geliebter Wesen beweinend.
Wir können nicht anders, wir legen die hohlen Hände an den Mund und schreien hinaus: Hilfe!
Ihr müßt hören, Ihr müßt helsen, Ihr müßt geben! Diesen Ärmsten der Armen muß ersetzt werden, was ihnen stumpfsinnige, verantwortungslose Gewalt der Elemente entrissen hat.
Und seht, wie es Euch leicht gemacht wird! Da die andern litten, sollt Ihr genießen! Sollt die „Disciples de Grétry“ hören - wer ginge nicht allein schon ihnen zulieb am Samstag ins Theater! Und Ihr sollt die seltsamen alten Lütticher Volksweisen hören, die besten Künstler von Lüttich, der berühmten alten Pflegestätte aller Tonkünste! Ihr dürft da sitzen und Euch im Einzelnen ausmalen, wiepiel Elend für Euer Scherflein gelindert werden kann - und wieviel trotz allem nachher noch zu lindern bleiben wird.
Tags drauf erfaßt Euch der Strudel des Karnevals. Tut vorher ein gutes Werk, Ihr werdet mit um so leichteren Herzen Euch der Freude an den Hals werfen. Trinkt eine Flasche Schampus weniger, sagt Eurer kleinen Domina, sie soll - für einmal - auf die Austern verzichten und sich mit einem Schinkenbrot begnügen - die kleinen Mädels sind ja auch nicht so, sie werden stolz sein, mit ihrem Verzicht auf ein Dutzend Austern den Anspruch auf den Titel Wohltäterin erworben zu haben.
Also abgemacht, Ihr seid am Samstag abend im Stadttheater! Der Präsident der „Union Belge“, Herr Generalleutnant de Keucker de Watlet, wird Euch mit seinem wärmsten Händedruck und seinem gewinnendsten Lächeln danken.
Und vergeßt nicht, daß ein Drittel vom Erlös den Opsern der Überschwemmungen in unserer Heimat zugewandt wird.