Bei der herrschenden Kälte ist es aktual, von den Stätten zu reden, an denen man unentgeltlich Wärme aufspeichern kann.
Sie sind, soweit mir bekannt, vier an der Zahl: Bahnhof, Post, Kammer und Kirchen.
Vor Zeiten war es nur die Kammer. Weder eine Kirche, noch die Schalterhallen von Bahnhof und Post hatten Zentralheizung.
Die Kammer war damals sehr beliebt als Tagesasyl, über das sich ein unterhaltsames Gegenstück zu Maxim Gorki’s Nachtasyl hätte schreiben lassen. Dort rann an den Nachmittagen der Sitzungstage ein ganz besonderes Menschengut zusammen. Leute, die am Leben nur noch passives Interesse hatten, die aus der Brandung der Arbeit heraus ins tote Wasser der Pensionsjahre geschwemmt waren und nicht wußten, wie sie ihre überflüssige Zeit totschlagen sollten. Wenn es zum Spazierengehen zu unfreundlich war, saßen sie auf der Kammertribüne und genossen behäbig die billige Wärme und das geruhsame Geplätscher der Reden. Nicht politisches Interesse trieb sie dahin, auch nicht die Sorge um eine eigene Sache, das Volk war zur Zeit der Dreißigfrankenmänner nicht gewohnt, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Aber sie wollten sich wärmen. Inzwischen wurde es sechs Uhr und Zeit zum Dämmerschoppen, auf den sie ihrem Pensioniertenbüdget zufolge jeden Tag ein Zwölfsousstück verwenden dursten, Sonn- und Feiertags eine Mark.
Heute türmen sich in den Tribünen über die ersten Zuhörerreihen hinauf, die von den Damen in Beschlag genommen sind, die neugierigen, gespannten Gesichter der Zahlreichen, die hören wollen, wie es um ihre Sache steht. Denen kommt es auf den Thermometerstand nicht an, so wenig, wie dieser und jener Besucherin in der Damenreihe, die nur den heimlich Geliebten stundenlang anhimmeln will. Denn wie er lebendig da sitzt und steht und geht und redet und unterbricht und lacht und Pfui! und Bravo! rust und die Minister schimpft oder sie auf den Bauch klopft, da hat sie doch mehr von ihm, als wenn nur sein totes Bild mit ewig demselben Ausdruck auf ihrem Nachttisch steht. Das ist wirklich heute ein ganz andrer Betrieb, als vor vierzig Jahren, wo Rede und Widerrede flossen, wie Öl, französisch und weise, bis auf die des Herrn Jean Knaff aus Fels, der als einziger deutsch sprach, wo man sich noch nicht gegenseitig Tintenfässer, Freßwänste und goldne Fingerringe wirklich bezw. bildlich an den Kopf warf, und wo die Kammer alles Mögliche war, darunter auch ein öffentlicher Wärmeraum, nur keine Volksvertretung.
Man könnte sagen, der Beruf eines jungen Mannes verrät sich in der Vorliebe, die er für diesen oder jenen der erwähnten Wärmeräume an den Tag legt. Wenn einer schon als Quartauer seine freien Nachmittage in der Kammertribüne zubringt, um den Peter oder den Franz oder den Emil zu hören, so wird aus ihm zuversichtlich einmal ein Emil, ein Franz oder ein Peter.
Wärmt er sich dagegen mit Vorliebe in der Schalterhalle der Post, so hat er Neigung zum Geschäftsleben. Treibt er sich gerne in der Bahnhofhalle herum, so zieht es ihn zu einem der Berufe, von denen Schiller gesagt hat, der Mann müsse hinaus ins feindliche Leben. Wärmt er sich dagegen am liebsten in stillen, mystisch halbdunkeln Kirchenhallen, wo im Chor die ewige Lampe glüht, so gehorcht er sicher dem Drang zum geistlichen Beruf - wenn es nicht so ist, daß ihm sein Schatz in der Kirche, zweite Säule von rechts unten, neben dem Opferkasten, ein Stelldichein gegeben hat.